In letzter Zeit lässt mich eine Frage nicht mehr los:
Ist uns ein respektvoller Umgang miteinander verloren gegangen?
Ich spüre es an vielen Stellen – in der Arbeit, im Verein, auf der Straße. Da ist dieses schnelle Urteilen, das Abwerten, das Drauflospoltern. Menschen, die nur noch im eigenen Film unterwegs sind, ohne Blick für ihr Gegenüber. Und dann frage ich mich: War das früher anders – oder ist unser innerer Kompass verrutscht?
Ein Teil lässt sich bestimmt durch Stress erklären. Viele sind überlastet, müde, getrieben. Doch das reicht nicht als Erklärung. Denn Respekt ist keine spontane Emotion, die man hat oder nicht hat. Er ist eine Haltung, die man wählt.
Und genau diese Haltung scheint bei manchen brüchig geworden zu sein.
Doppelte Standards: Kinder bekommen Respekt – Erwachsene sollen ihn „aushalten“
Was mich besonders irritiert:
Bei Kindern ist Respekt selbstverständlich.
Wir würden ein Kind nicht anschreien, abwerten oder bewusst kleinmachen. Pädagogisch wäre das absurd. Kinder spiegeln unser Verhalten direkt – und wir wissen, wie sehr Respekt ihnen guttut.
Doch sobald man erwachsen wird, dreht sich das Bild:
„Sei nicht so sensibel.“
„Das gehört dazu.“
„Nimm’s nicht persönlich.“
Plötzlich soll man Respektlosigkeit einfach schlucken. Was bei Kindern ein No-Go wäre, gilt bei Erwachsenen als Charaktertest. Und wer sich wehrt, gilt als empfindlich.
Aber das ist reine Ausrede.
Es ist der Versuch, respektlosen Umgang zu legitimieren – nichts weiter.
Niemand ist „zu sensibel“, nur weil er Wertschätzung einfordert.
Niemand ist „schwach“, weil er Grenzen hat.
Niemand ist „schuld“, wenn er sich gegen Abwertung stellt.
Respekt ist nicht optional
Respekt ist kein Bonus, den man verteilt, wenn noch Energie übrig ist.
Er ist die Basis für jede Form von Miteinander – beruflich wie privat.
Wenn er fehlt, merkt man das sofort. Kommunikation wird ruppig, Konflikte eskalieren unnötig, Menschen ziehen sich zurück oder verhärten. Die Atmosphäre wird schwer, misstrauisch, kalt.
Und diese Kälte macht etwas mit einem. Sie frisst Energie, sie macht müde, sie verletzt.
Umso wichtiger ist es, bewusst gegenzuhalten – nicht mit Nachgiebigkeit, sondern mit Haltung.
Respektvoll bleiben, ohne sich kleinzumachen.
Standhaft bleiben, ohne über andere hinwegzugehen.
Vielleicht ist genau das die Herausforderung unserer Zeit:
trotz Druck, Hektik und gesellschaftlicher Verhärtung die eigene Würde und die der anderen zu schützen.
Denn eines bleibt:
Respekt ist die Grundlage dafür, dass wir uns nicht verlieren – als Menschen, als Teams, als Gesellschaft.